21.04.2011

Rubinrotes Outtake


In lezter Zeit ist es ja -bis auf das laufende Casting zum Rubinrot Film- eher still gewesen, was die Edelstein-Trilogie von Kerstin Gier betrifft. Das hat sich jetzt zum Glück geändert! Pünktlich zu Ostern hat die Autorin persöhnlich der Edelstein-Trilogie Fanseite ein Outtake aus dem ersten Band Rubinrot geschickt. Das besondere: das Textstück ist aus Gideons Sicht geschrieben. Vieleicht erkennt ihr ja, an welcher Stelle im Buch es spielt ;D.

(c)Kerstin Gier
Die kleine Kratzbürste sagte immer noch kein Wort. Sie war noch blasser als ohnehin schon und kaute geistesabwesend auf ihrer Unterlippe herum. Bis hierhin  hatte sie sich eigentlich ganz gut geschlagen, aber jetzt wirkte sie auf einmal kolossal  überfordert. Kein Wunder.
"Alles in Ordnung mit dir? Du siehst aus, als ob du einen Geist getroffen hättest." Ich legte den Mantel neben mich. Ein fürchterliches Teil mit drei riesigen Rüschenkrägen, die Madame Rossini "Pelerinen" nannte, ein absolutes Must-have für den modischen Rokoko-Mann, wenn man ihr glauben wollte. Gwendolyn sah kurz zu mir hoch, dann starrte sie wieder auf ihre Hände.
"Ganz schön heiß für September", sagte ich. Übers Wetter reden ist im Zweifel immer beruhigend, und bestimmt hätte die kleine Kratzbürste allergisch auf einen tröstenden Satz wie "Es ist okay, Angst zu haben" reagiert.
"Kein Geist", murmelte sie und ihre Stimme zitterte ein wenig. "Nur den Grafen von Saint Germain und eines seiner Kunststücke."
Ich erinnerte mich noch gut an meine erste Begegnung mit dem Grafen und daran, wie sehr er mich beeindruckt hatte.  Zu mir war er allerdings sehr viel freundlicher gewesen als zu ihr - na ja ich konnte ihn durchaus verstehen: Dass die Wächter das falsche Mädchen ausgebildet hatten,  war wirklich ärgerlich. Und wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich dem Grafen die Botschaft erst einmal unter vier Augen und schonender beigebracht. Und Gwendolyn- .... nun, es war ziemlich rücksichtslos von den Wächtern, die kleine Kratzbürste gleich ins kalte Wasser zu werfen.  Sie tat mir leid. "Er war nicht besonders höflich zu dir. Aber das war ja zu erwarten. Offenbar hatte er eine andere Vorstellung davon, wie du zu sein hast."
Jetzt hatte ich ihre volle Aufmerksamkeit, sie hob den Kopf und sah mich abwartend an. Die babyblauen Augen bildeten einen eigenartigen Kontrast zu den dunklen Haaren. Ich räusperte mich. "In den Prophezeiungen wird der zwölfte Zeitreisende immer als etwas Besonderes geschildert. Begabt mit der Magie des Raben. Was immer das auch heißen mag. Der Graf schien jedenfalls nicht gewillt zu sein, mir zu glauben, dass du nur eine gewöhnliche Schülerin bist."
Unglaublich, wie diese Worte ihren Gesichtsausdruck veränderten. In einem Moment hatte sie hilflos und ängstlich ausgesehen, jetzt sprühten ihre Augen vor Zorn und ihre Wangen röteten sich, während sie auf ihrer Unterlippe herumkaute. Offenbar mochte sie es nicht, als gewöhnlich bezeichnet zu werden.
"Gwendolyn?"
"Was?", fauchte sie.
Lieber Himmel! Mädchen! Ständig waren sie wegen irgendwas beleidigt, mit ihnen zu sprechen, war in etwa so, wie durch ein Minenfeld zu robben. "Das sollte keine Beleidigung sein. Ich meine gewöhnlich nicht im Sinn von ordinär, eher im Sinn von durchschnittlich, weißt du?" Das machte es nur noch schlimmer. Wenn Blicke töten könnten, wäre ich jetzt auf der Stelle tot umgefallen.
"Schon gut! Es ist mir egal, was du von mir denkst."
"Du kannst ja nichts dafür", sagte ich so freundlich wie möglich.
"Du kennst mich doch überhaupt nicht!"
Da hatte sie allerdings recht. "Mag sein", sagte ich, während die Kutsche über einen Stein rumpelte und uns durcheinander schüttelte. "Aber ich kenne haufenweise Mädchen wie dich. Ihr seid alle gleich."  Das war natürlich Unsinn, aber aus irgendeinem Grund machte es mir Spaß, die kleine Kratzbürste auf die Palme zu treiben.  Und zu meiner Verteidigung: es hatte tatsächlich mal eine Zeit gegeben, da war ich fest davon überzeugt gewesen, dass es diese verwöhnten Privatschulprinzessinnen zwar in verschiedenen Ausführungen gab- klein, groß, blond, brünett, zierlich oder üppig - aber dass sie innerlich sie alle gleich waren.
Jetzt hatte Gwendolyn sich kerzengerade aufgerichtet und das Kinn kämpferisch nach vorne gereckt. "Haufenweise Mädchen? Ha!", rief sie aus und versuchte, möglichst viel Verachtung in das Wörtchen "Ha!" zu legen. Es gelang ihr ganz gut.
Ich rief mir Charlottes Beschreibung von Gwendolyns Charakter in Erinnerung und sagte: "Mädchen wie du interessieren sich nur für Frisuren, Klamotten, Filme und Popstars. Und ständig kichert ihr und geht gruppenweise aufs Klo. Und lästert über Lisa, weil sie sich ein Fünf-Pfund-T-Shirt bei Marks und Spencer gekauft hat."
Ganz kurz riss Gwendolyn ungläubig ihre Augen auf, dann brach sie zu meiner Überraschung in helles Gelächter aus. "Willst du sagen, alle Mädchen, die du kennst, lästern über Lisa, die sich ein T-Shirt bei Marks und Spencer gekauft hat?"
Ich fühlte mich ein wenig in die Enge getrieben. "Du weißt schon, wie ich das meine."
"Ja, ich weiß schon. Du denkst, alle Mädchen, die nicht so sind wie Charlotte, sind oberflächlich und dumm. Nur weil wir eine normale Kindheit hatten und nicht pausenlos Fecht- und Mysterienunterricht. In Wahrheit hattest du keine Zeit, jemals ein normales Mädchen kennenzulernen, deshalb hast du dir diese traurigen Vorurteile zurechtgelegt."
Verdammt! Das war gar nicht mal so weit weg von der Wahrheit. Die kleine Kratzbürste hatte den Spieß kurzerhand umgedreht.  "Na, hör mal! Ich war genauso auf der Schule wie du!"
"Ja, klar!" Sie schnaubte verächtlich. "Wenn du nur so halb so gründlich auf dein Leben als Zeitreisender vorbereitet worden bist wie Charlotte, dann hast du weder männliche noch weibliche Freunde und deine Meinung über sogenannte durchschnittliche Mädchen beruht auf Beobachtungen, die du angestellt hast, wenn du einsam auf dem Schulhof herumstandest. Oder willst du mir erzählen, dass deine Mitschüler im Internat deine Hobbys - Latein, Gavottetanzen und Pferdekutschen fahren - wahnsinnig cool fanden?"
Ich unterdrückte mit Mühe ein Grinsen. Sie war wirklich witzig, wenn sie so in Fahrt kam. "Violinespielen hast du noch vergessen", sagte ich, lehnte mich zurück und verschränkte die Arme, während ich darauf wartete, was sie mir nun an den Kopf werfen würde. Aber aus irgendeinem Grund wollte sie die Steilvorlage nicht nutzen. Sie sah nicht mal mehr wütend aus. Stattdessen meinte ich, so etwas wie Mitleid in ihren blauen Augen zu lesen.
"Violine? Wirklich?"

3 Kommentare:

  1. Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

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  2. Cool, ach wie ich dieses Buch mag.

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  3. Aus Gideos Sicht ist alles noch vel cooler. da merkt man wenigstens gleich das er nicht nur mit ihr spielt. er mag sie...
    Auf jeden fall ist das eine gelungne Sicht und ein großes Lob an Kerstin Gier, sie hat meine, und ich hoffe auch von vielen andernen leser, Vorstellung non Gideons Charakter perfekt gespiegelt. Hach ja, so viel Phantasie müsste man haben...

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